Klimaforschung zwischen Eisbergen
Forschungsschiff Merian in Grönland
Samstag, 30.9.07 um 16 Uhr in 3sat

Bloß nicht hysterisch werden – sagen die Wissenschaftler an Bord der Merian. Sie haben soeben ein zehntausend Jahre altes Sediment vom Meeresboden begutachtet. Ganz deutlich erkennt auch der Laie feine dunkle und helle Striche – die Abfolge ständiger Zyklen von Erwärmung und Kaltzeiten. Ein Labor an Bord kann sofort organische Bestandteile im Sediment feststellen, Hinweise darauf, dass es zu jener Zeit blühendes Leben gegeben habe, dessen Reste im Sediment zu finden sind. Bevor sie das Sediment entnommen haben, sahen die Wissenschaftler Bilder, die das Echolot vom Meeresgrund geliefert hat: Spuren des sich bewegenden Eises auf dem Meeresboden – Kratzer , Rillen, Scharten.

Alle reden vom Klima – wir auch, sagen die Forscher an Bord, allerdings nicht in so kurzen Zeiträumen wie der IPCC–Report der Uno, der so viel Wirbel , geradezu Hysterie, ausgelöst hat, weil er dramatisch auf die Erwärmung im Laufe der letzten hundert Jahre hinweist.

Die Forscher hier denken in anderen Zeiträumen, weisen darauf hin, dass wir uns eben zur Zeit in einer Erwärmungsphase befinden und die wäre gekommen, unabhängig davon, ob der Mensch nach Mallorca fliegt oder mit dem Auto unterwegs ist. Dies zeigten die Spuren in Grönland deutlich. Natürlich begrüßen alle an Bord die gegenwärtige Diskussion, die zum behutsameren Umgang mit den Ressourcen führe, aber zu Panik gebe es keinen Anlass. Der Mensch schippe zusätzlich Kohlen auf die Klima-Maschine, aber die Erwärmung wäre in jedem Fall gekommen, denn am Klima sei nur eines beständig, nämlich, dass es sich ständig ändere.

Die Merian ist das modernste deutsche Forschungsschiff, voll gestopft mit Hitec an Bord, eine schwimmende Universität mit Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen: Geodäten setzen GPS-Stationen aus, um festzustellen, inwieweit sich die Küsten Grönlands heben oder senken, nachdem sie von der Last des Eises befreit sind. Dies liefert Hinweise auf die Lage an deutschen Küsten, denn was sich in Grönland zur Zeit abspielt, das Abschmelzen des Inlandeises, hat sich auch in Skandinavien und vor unseren Küsten am Ende der letzten Eiszeit abgespielt.

Ozeanographen prüfen die Schadstoffbelastung des Meeres bis in tausend Meter Tiefe, Geologen die Schadstoffbelastung des Eises. Beides liefert Hinweise auf Luftzirkulation und Umweltverschmutzung. Hier ist Globalisierung Thema nicht unter dem Aspekt von Arbeitskraft und Märkten, sondern von Schadstoffen, die weit entfernt anfallen und doch in unsere Breiten zurückkehren.

Biochemiker in Raumfahrtanzügen sitzen den ganzen Tag im eiskalten bordeigenen Klimalabor, das die Bedingungen am Meeresboden simuliert und prüfen das Verhalten winziger Bakterien. Wovon ernähren sie sich, produzieren sie CO2 oder nehmen sie CO2 aus der Luft auf, inwiefern wirken sie auf das Klima ein? Hier werden nicht nur Fragen beantwortet, hier wird auch schnell deutlich, dass noch vieles unklar, den
Forschern ein Rätsel ist, jenseits aller Selbstgewissheiten von Politkern, Rocksängern und wohlfeiler Ratschläge: Bleib zu Hause auf dem Balkon und du rettest das Klima!

In einer kleinen grönländischen Siedlung ergänzen die Forscher ihre Untersuchungen bei einem Treffen mit Schülern, die im Laufe des letzten Schuljahres ihre Eltern und Großeltern systematisch zu Klimaveränderungen befragt haben. Auch alte Fischer und Jäger sind gekommen, berichten von immer kürzeren Kälteperioden im Winter, die es ihnen schwermachten, auf dem Eis mit traditionellen Hundeschlitten nach Roben zu jagen. Sie sind unmittelbar an den Forschungsergebnissen der Wissenschaftler interessiert, denn die Forschungen auf der Merian sind für sie nichts Abstraktes, betreffen ihr Leben unmittelbar, zeigen ihnen, wie die Zukunft in ihrem Lebensraum aussieht .

Dreharbeiten in Grönland
Autorin beim Fischen in Grönland – macht offensichtlich Spaß!