Ein paar hundert Mädchen sind im Lauf der letzten Jahren bei ihr untergekommen, sagt Astrid: verzweifelt , mit aufgeplatzten Lippen, blauen Augen, krumm von den Prügeln.

Sie fliehen vor einem aufgezwungenen Ehemann. Ob Sie Serap oder Ayse heißen, aus der Türkei,  Marokko oder Algerien kommen – ihr Problem ist stets das gleiche, ihr Alter erschreckend niedrig. Sie sind 12 / 13 Jahre alt, manchmal auch “schon” 16 oder 17, also noch halbe Kinder – aber sie sollen verheiratet werden – an den Cousin oder einen Mann aus ihrem Heimatdorf, als Erst – oder auch Zweitfrau, die endlich die ersehnten Söhne gebären soll. Gesehen haben sie den künftigen Ehemann fast nie, die Heirat wird – gegen Zahlung von Brautgeld – von den Eltern arrangiert. Die Schulen merken erst, wenn ihre Schülerinnen nach  den Sommerferien nicht mehr wiederkommen, dass sie inzwischen verheiratet wurden oder ein Mädchen trägt in der 8. Klasse mit gerade mal 13 Jahren ein schweres Goldhalsband – das Geschenk ihres Verlobten.

Ob Ayse oder Serap eine Berufsaubildung machen oder gar noch zur Schule gehen, ist Vater und Brüdern egal. Dass in Deutschland erst mit 18 geheiratet werden darf und mit 16 erst nach Antrag und nur mit ausdrücklicher Erlaubnis des Jugendgerichts, kümmert die Väter wenig. Nach den Regeln des Islam darf ein Mädchen, wenn ihre erste Regel eintritt, verheiratet werden – vom Hodscha in der Moschee. Das reicht den frommen Eltern.

Astrid ist eine von fünf Betreuerinnen in einem Frauenhaus für Migrantinnen. Rund um die Uhr ist immer eine von ihnen für die verängstigten jungen Frauen da, denn sowohl für die Betreuerinnen als auch für die Mädchen geht es ihm wahrsten Sinne des Wortes um Leben und Tod. Absolute Anonymität ist das Einzige, was den Mädchen einigermaßen Schutz geben kann, sagt Betreuerin Astrid.

Im letzten Jahr brachte ein Albaner aus dem Kosovo seine Tochter um, die sich in einen deutschen Jungen verliebte. Durch ihren Lebensstil sah er die Familienehre in Gefahr und drehte durch – kein Einzelfall.

Selbst für die  Betreuerinnen ist der Einsatz in den geheimen Wohnungen nicht ungefährlich . Sie werden bedroht , wenn die Familien herausfinden, wo die Töchter untergeschlüpft sind. Alles geschieht in größter Heimlichkeit . Wie viele Zwangsehen mitten in Deutschland geschlossen werden , wie viele Frauen als Zweitfrauen leben , ist offiziell nicht bekannt . Eine Untersuchung aus Berlin zeigt , dass die Hälfte der türkischen Frauen im Alter zwischen 13 und 17 Jahren verheiratet werden, wie viele davon gezwungenermaßen  , liegt im Dunkeln.

Der Himmel der Mädchen ist unter den Füßen der Väter , lautet ein türkisches Sprichwort.