Die Vietnamesen nennen ihn Wiedervereinigungsexpress, den Zug, der die 1700 Kilometer lange Strecke von Saigon nach Hanoi in 40 Stunden zurücklegt . Die Städtenamen entlang der Zugstrecke erinnern an unerträgliche Kriegsnachrichten, Schlachten, Zerstörungen, Opfer: Da Nang, Hue, Saigon, Hanoi.

Heute ist Hanoi ein quirliges Durcheinander von Kommunistischer Partei, Karaoke-Bars, Ho Chi Minh – Mausoleum und Internet-Cafes mit Live-Musik und Latte Macchiato. Die über tauend Delegierten haben auf dem letzten Parteitag gerade beschlossen, dass auch ein Kapitalist Parteimitglied sein darf. Viel ist im Umbruch in Vietnam und nicht ganz unbeteiligt daran sind Vietnamesen, die hervorragend sächseln, z.B. Le Trang. Der Leiter des Zentralen Instituts für Wirtschaftsplanung singt am liebsten: “Im schönsten Wiesengrunde“  und  gilt als Vordenker der Wirtschaftsreformen.Tran Duong , Schriftsteller und Übersetzer bekennt: ohne deutsche Kultur kann ich nicht leben. Er war zehn Jahre Korrespondent der vietnamesischen  Nachrichtenagentur in Berlin und hatte guten persönlichen Kontakt zu Margot Honecker. Heute ist er Dolmetscher von Partei- und Regierungsstellen, wenn Besucher aus der Bundesrepublik nach Vietnam kommen. Sie alle und mit ihnen noch etwa ein Dutzend Würdenträger des öffentlichen Lebens verbindet die gemeinsame Zeit in Moritzburg, einem kleinen Nest, unweit von Dresden. Im Moritzburger Käthe – Kollwitz-Heim wurden nach dem Ende des ersten Indochinakrieges und der Zweiteilung des Landes, Kinder  “verdienter Kader“ und “Freiheitskämpfer “ sowie Waisen aus ganz Vietnam  solidarisch  aufgenommen. Für die Neuankömmlinge begannen die merkwürdigsten Jahre ihres Lebens, Kulturschock inklusive.  Ihre Mithilfe bei der Kartoffelernte wurde fortan zu einem Pfeiler der deutsch-vietnamesischen Beziehungen, denn heute sind die “pommes Fritz “ in Vietnam salonfähig und vom Status eines exotischen Gemüses in den Rang einer selbstverständlichen Sättigungsbeilage befördert worden .  “Aktivität, Fleiß und Arbeitseifer“  seien in Deutschland in ihnen geweckt worden , bekennen die ehemaligen Moritzburger, und damit erklären sie, dass sie alle  in Vietnam Karriere gemacht und zu höchsten Ehren und Ämtern aufgestiegen sind.  Neben Tausenden von Gastarbeitern haben die Moritzburger dazu beigetragen, dass Deutschland einen festen Platz  im Herzen vieler Vietnamesen  hat, bekundet der Leiter des Goethe-Instituts in Saigon.  Sie hätten das Leben in Vietnam mehr  umgestaltet als sich nach außen hin zeige. Einige Vietnamesen warten sogar mit dem “ Lied von der blauen Fahne auf “ – alle Strophen  in tadellosem Sächsisch !

Der Wiedervereinigungsexpress macht  in der Mitte des Landes in der alten Kaiserstadt Hue Station. An den Ufern des Flusses „ der Wohlgerüche“ mitten in der Stadt liegen Hausboote . 20.000 Menschen leben auf dem Fluss , schaufeln Kies vom Boden, verkaufen ihn als Baumaterial, fischen, handeln . Die kleinen Pensionen und Hotels am Fluss werden oft von Tourismusmanagern geführt, die sehr gut Deutsch  sprechen. Nach dem Krieg haben sie in der DDR studiert: Man nannte das damals sozialistische Entwicklungshilfe. Auch wer Englisch spricht, kommt gut durch: Viele Amerikaner ehemalige GIs kommen auf Nostalgie –Tour, wollen wissen, was die Vietnamesen heute von Amerika halten. 40 Kilometer vor Ho Chi Minh-Stadt alias Saigon  berührt der Zug die Tunnelsysteme von Cu Chi. Wer bis jetzt noch nicht begriffen hat, wie David Goliath besiegen konnte, versteht es hier: in etwa 250 Kilometer langen Stollen lebten 16.000 Partisanen. Ein amerikanischer General soll damals verzweifelt gerufen haben: wir sehen sie nicht, aber sie sind überall…

Heute kriechen ergraute Widerstandskämpfer einträchtig zusammen mit Vietnam –Veteranen aus den USA durch Tunnels, in denen der Schrecken von damals dokumentiert ist: wie sie Brot gebacken, Schuhe genäht, aus amerikanischen Blindgängern Bomben gebaut haben. Damit Touristen hier durchkommen, wurden die Gänge verbreitert. Damals hätte sich hier kein GI bewegen können. Heute sind sie willkommen am Ort ihrer Schmach und die einstigen Kämpfer kassieren Eintritt.

Saigon ist heißer, lauter voller als Hanoi – nicht schöner. Shoppingcenter, Banken, eine Großstadt- Skyline wie überall auf der Welt,  doch neben der Cola-Werbung hängen politische Parolen – Glückwünsche zum  Tag der Wiedervereinigung . Oben weht die rote Fahne , unten tobt das Business.  Die Vietnamesen aus Sachsen kriegen das alles unter einen Hut – lächelnd versteht sich.

Moritzburger eröffnen uns den Zugang zu einem Land, das die meisten nur aus schrecklichen Kriegsberichten kennen. Archivmaterial aus der Moritzburger Zeit illustriert, wovon die sächsischen Vietnamesen sprechen, wenn sie sich heute noch mit leuchtenden Augen an diese prägende Zeit ihrer Jugend erinnern und vom Besuch Onkel Hos`in Moritzburg schwärmen, der die jungen Leute ermahnte, gut zu lernen, von den Deutschen viel aufzunehmen und damit einen Beitrag zum Aufbau Vietnams zu leisten. Ein Besuch in der sächsischen Kleinstadt zeigt, dass auch die deutschen Lehrer und Erzieher bis heute eine lebendige Erinnerung an diese Zeit haben.